Produkt Kulinarisches Erbe
Bündner Birnbrot
Charakteristika
Birnbrot kann ein Indikator der Lebensverhältnisse sein: Anfänglich gab man Birnenmasse ins Mehl, heute streut man etwas Mehl in die Birnenmasse. Mit der Zeit – und auch dank exquisiterer Gewürze – wurde das Birnbrot eine Weihnachts- und Neujahrsdelikatesse. Heute wird es ganzjährig gekauft, da die Birnbrote lange haltbar sind.
Im Rezept von Maggie Poltéra («Das Kochbuch aus Graubünden» kommen neben gedörrten Birnen auch Dörrzwetschgen, Mandeln, Pinoli, Baumnüsse, Weinbeeren, Korinthen und Rosenwasser vor.
Kultur und Geschichte
In «Ein schön Kochbuch 1559», das 515 Rezepte aus der bischöflichen Küche von Chur enthält (in der kaum Mangel an Zutaten herrschte), gibt es kein Rezept für Birnbrot, aber für «ein bieren mus von dür bieren», dem geröstete Semmeln beigegeben werden, Wein oder Bier, Gewürze wie Zimt, Nelken, Macis, Pfeffer und Ingwer. Diese Masse wird gekocht und durchs Sieb gestrichen, dann aber nicht gebacken, sondern mit Zucker bestreut angerichtet.
Für das heutige Birnbrot verwendet man Ruchmehl, gedörrte Birnen (eingelegt, aber nicht gekocht), Orangeat, Zitronat, Baumnüsse, Feigen, Sultaninen, manchmal Apfelschnitze, Zucker, Trester, Kirsch oder auch Wein, Koriander, Zimt, Sternanis, Anis, Pfeffer, Nelken; für den Einschlagteig Milch, Hefe, Zucker, Salz, Weissmehl.
Erstmals als regionale Spezialität aufgeführt ist das Bündner Birnbrot im Buch «Die gute Köchin. Eine Sammlung von 600 erprobten Rezepten in 6 Heften. Zusammengestellt von Lehrer C. Patzen in Chur», erschienen 1907 im Selbstverlag des Verfassers. Im 4. Teil unter «Fastenspeisen» rezeptiert Patzen das «Bündner Birnbrot» (Rezept 498) mit Mehl, Milch, Butter, Presshefe und etwas Salz für den Teig; für die Füllung führt er Dörrbirnen, Nüsse, grosse Weinbeeren, Zitronat, Orangenschale, Zucker, Zimtblüten und Anis auf, dies «gut untereinander gemacht, mit etwas Kirschwasser, Arrac oder gewöhnlichem gutem Schnaps und Rosenwasser begossen». Die eine Hälfte des Teigs wird mit der Birnenmasse vermengt, mit der anderen ummantelt man die Wecken, die weiter «mit einem Modell bedruckt, mit Eigelb bestrichen» und gebacken werden.
Heute figuriert es unter anderem als «Bündner Birnenbrot, Pain aux poires des Grisons» im Lehrmittel «Feinbäckerei» des schweizerischen Richemont-Kompetenzzentrums für Bäckerei-Konditorei-Confiserie; darin wird ein spezielles «Birnenbrotgewürz» mit Zimt, Sternanis, Anis und Pfeffer verwendet.
Die heutigen Kühlmöglichkeiten erlauben es, dass das Bündner Birnbrot während des ganzen Jahres zu finden ist. Dennoch wird es eher in der kalten Jahreszeit gegessen. Typisch an Weihnachten und Neujahr. Frühstück, Zwischenmahlzeit, zum Kaffee oder als Picknick bzw. Wandersnack (Birnbrot enthält reichlich Energie). Mit Butter bestreichen oder einfach nature geniessen – Aromen sind ja ausreichend vorhanden. In Restaurants wird Birnbrot gerne zum Käse gereicht. Zum Bündner Birnbrot passt Bündner Röteli.
Vorkommen und Verbreitung
- Bündner Rheintal
- Surselva
- Viamala
- Mesolcina
- Calanca
- Engadin und Südtäler
- Mittelbünden
- Davos
- Prättigau
Ursprünglich alpin und innerhalb von Familien, seit dem 20. Jahrhundert zunehmend und im 21. Jahrhundert vor allem in gewerblichen Bäckereien. Vom Armeleutebrot hat sich das Bündner Birnbrot zu einer Delikatesse entwickelt. Seine gute Haltbarkeit und Kompaktheit (längliche Form, 200 g bis 1 kg schwer) prädestiniert es zum Souvenir für Touristen; entsprechend wird es in gut besuchten Regionen und Ortschaften verkauft. Es wird heute vereinzelt auch ohne Teigmantel angeboten.