Hier werden Träume reif
Es war das Heimweh nach den Bergen, das Tanya Giovanoli zurück ins Bündnerland brachte. Auch der Wunsch, frei zu sein. Und die Lust, eine Familientradition wiederzubeleben. 2019 packte Tanya Giovanoli ihre Sachen und ihre Wünsche und zog aus Zürich, wo sie als Betriebswirtin in der Modebranche tätig war, nach Reichenau, wo sie sich eine kleine Metzgerei eingerichtet hat.
«meat design» heisst ihr junges Unternehmen, mit dem sie etwa einen alten Keller zum Wursthimmel macht. Ihre Würste, ihr Bindefleisch und alle weiteren Fleischspezialitäten eint, dass Giovanoli komplett auf Zusatzstoffe verzichtet. Sprich: Nitritpökelsalz, Phosphate, Bindemittel, nichts davon findet sich in ihrer Werkstatt.Und damit geht sie ganz weit zurück zu ihren Wurzeln. Giovanoli wuchs in einer Metzgerfamilie in Maloja auf. «Ich kenne das Handwerk seit meiner Kindheit», erzählt sie. Auch geschlachtet wurde bei Giovanolis. Viele der Tiere hat die Familie selber grossgezogen. Sie habe das als Kind schon irgendwie traurig gefunden, «immer aber auch ehrlich», sagt sie. Diese Haltung vertritt sie bis heute. «Wichtig ist, dass wir die Kreisläufe nicht zu fest stören, mit unserem Fleischkonsum», sagt sie. Deshalb sei für sie etwa selbstverständlich, dass sie auch Stücke, die als zweitklassig gelten, verarbeite.
Ich kam her, stand im Keller und wusste: Hier reifen Würste ideal.
Tanya Giovanoli meat design
Ihre Werkstatt ist im alten Restaurant Adler, das zum Schloss Reichenau gehört. «Ich hatte das Glück, dass ich die Besitzer kenne und habe einfach mal gefragt», sagt Giovanoli. In der Restaurantküche stehen Fleischverarbeitungs-Maschinen oder ein Reifeschrank. Doch der Himmel, der liegt dann eben zwei Treppen weiter unten. Ein alter Steinkeller, der früher als Getränkelager genutzt wurde. Ich hätte gelesen, sage ich zu Giovanoli, dass sie riechen könne, ob sich ein Keller für Würste eigne. Sie lacht. «Ja, das finden alle spannend, und es stimmt. Ich kam her, stand im Keller und wusste: Hier reifen Würste ideal.»
Ihr Riechsinn hat sie nicht getäuscht. Giovanoli produziert seit 2019 Fleischspezialitäten im alten «Adler». Der Einstieg war nicht einfach, denn kaum hatte sie angefangen, kam Corona. Doch jetzt, sagt sie, pendle sich alles langsam ein. Das Sortiment von Giovanoli ist sehr breit. Zum einen verarbeitet sie klassische Bündner Spezialitäten. Bindenfleisch, Würste, auch eine getrocknete Blutwurst, wie sie es aus ihrer Heimat, dem Bergell, kennt.
Aber auch eine Süditalienische Spezialität hat es ihr angetan. ‘Nduja heisst sie. Es ist eine sehr weiche Wurst mit Schweinefleisch, die aber vor allem als Auftrich oder Würzpaste genutzt wird. Scharf muss sie sein. «Ich mag selber sehr gerne ‘Nduja und habe mir das Wissen dazu einfach angeeignet», erzählt sie. Und es habe auf Anhieb geklappt. «Wenn meine Kunden sehen, was ich für mich mache, wollen sie es oft auch», sagt Giovanoli. Und so wachse das Sortiment ständig.
Trotz Offenheit für Fremdes, schlägt ihr Herz immer auch für das Ur-Bündnerische. Und so wagte sie sich auch an die Churer Beinwurst. «Nicht etwas, das man täglich isst», sagt sie. «Aber schon während meiner Lehre bei der Metzgerei Schiesser in Chur lernte ich die Tradition kennen und schätzen.» Wichtig sei bei der Beinwurst, in der auch Schweineschwänzchen und viel Schwarten verpackt werden, dass man sie sehr lange koche. Sonst werde das nichts.
Als ich in der Stadt Zürich wohnte, fehlte mir der Garten.
Tanya Giovanoli meat design
Doch das Fleisch allein, das macht Giovanoli auch nicht glücklich. Und so hat sie auch noch angefangen, Früchte- und Gemüse zu konservieren. «Als ich in der Stadt Zürich wohnte, fehlte mir der Garten», erinnert sie sich. Jetzt könne sie sich gartentechnisch austoben. Und für sie ist dann eben klar, dass sie die Ernte auch gleich verarbeite. Ein nächstes Projekt stehe auch schon an: Brot backen, auch eine Leidenschaft von ihr.
Ja, das sei eben Freiheit für sie, sagt sie. Dass sie umsetzen könne, wonach ihr Herz begehre. Hier, im Adler, hat sie ihre Wirkungsstätte gefunden, die ihr die Berge und die Freiheit nähergebracht haben. Und die dafür sorgt, dass Bündner Traditions-Handwerk genussvoll in die Welt hinausgetragen wird.