Flüssiges Gold aus dem Puschlav

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Olivenöl aus dem Bündnerland? Im Südtal Puschlav wird ein Traum von zwei Visionären gerade Wirklichkeit. Doch bis Ihr Öl in den Handel kommt, sind noch viel Handarbeit und auch etwas Budget gefragt.

Vor rund 20 Jahren pflanzte der Vater von Tiziano Iseppi zwei Olivenbäume. Er hätte wohl nicht daran gedacht, dass diese dereinst die Früchte für eines der innovativsten Bündner Landwirtschaftsprojekte tragen würden. Die Bäume stehen etwas oberhalb des Dorfes Campascio im Puschlav, an einem Hang mit Trockenmauern und Terrassen. «Vor über fünf Jahren ging ich daran vorbei und sah, dass da ja Oliven wachsen», erzählt Tiziano Iseppi. Er arbeitet tagsüber in der Gemeinde. Buchhaltung. Doch als er die reifen Oliven an den beiden Bäumen sah, reifte in ihm eine Idee: Warum nicht noch mehr Bäume pflanzen und ein Puschlaver Olivenöl produzieren?

Er besuchte einen Kurs in Italien, mit Theorie und praktischem Unterricht im Olivenhain. 2017 begann er, Olivenbäume auf den Terrassen neben der Dorfkirche, wo er ein kleines Stück Land hat, zu pflanzen. 70 Bäume haben dort schon Wurzeln geschlagen. Mittlerweile konnte er auch seinen Kindheitsfreund Nicolò Paganini begeistern für die Oliven. Paganini baut im Tal für seine kleine Firma Piccoli Frutti Beeren an. Gemeinsam treiben sie nun das Olivenprojekt voran. Noch wird viel improvisiert. Aber immerhin: Vor drei Jahren konnte Iseppi erstmals 20 Liter Olivenöl von der Presse heimtragen.

 

Es ist Ende Oktober. Ich erklimme mit den beiden Freunden die Terrassen bei der Kirche zu Iseppis Olivenbäumen, die schon Früchte tragen. Hier helfen eine Handvoll Freunde und Verwandte bei der Ernte. Ihre Werkzeuge: Kinder-Sandrechen aus Plastik. Während unten ein Netz liegt, werden die Oliven mit den Rechen vom Baum gerupft. Dann von Hand zusammengesammelt. 500 Kilo landen am Schluss des Tages in den grünen Früchtekistchen auf dem roten Geländefahrzeug. Mit ihnen wird Iseppi tags darauf in eine Ölpresse in Italien fahren, wo er sich bereits ein Zeitfenster reserviert hat.

Die Kindergartenfreunde wüssten auch schon, wo die Presse stehen könnte. Tatsächlich nämlich in dem Haus, wo früher ihr Kindergarten war. «Die Gemeinde wäre einverstanden und würde die Räume instand stellen», sagen die beiden.

Aber erst mal sollen noch mehr Olivenbäume gepflanzt werden. Wir steigen von den Bäumen, wo die Erntehelfer am Werk sind, höher den Berg hinauf. Bis sich im Wald eine Lichtung auftut, die von vielen alten Trockenmauern durchzogen ist. Manche sind zerfallen, andere noch intakt. Hier wurde früher Gemüse angebaut. «Das Puschlav war die Gemüsekammer des Engadins», erzählt Paganini. Viele Bewohner des abgeschiedenen Bündner Südtals hätten auf den Terrassen Gemüse kultiviert, das dann über den Berninapass ins Engadin transportiert worden sei. Bis vor rund 70 Jahren. Danach wurden die Terrassen von Büschen und Bäumen verschluckt.

Glücklicherweise seien die Terrassen noch nicht wieder als Wald kartiert, so die beiden, die nicht nur mit der Gemeinde sondern auch mit dem Kanton in Kontakt stehen. Sie haben entsprechend grünes Licht bekommen dafür, die Terrassen von Gehölz zu befreien. Hier, an diesem steilen Hang, hat Tiziano mit seinem Vater letzten Winter bereits gerodet. In wochenlanger Handarbeit Bäume gefällt, zersägt. Nun sollen die alten Trockenmauern saniert werden. Dafür brauchen Iseppi und Paganini Unterstützung. «Wir können die Mauern nicht selber restaurieren, es braucht Profis», so Iseppi. Für die Sanierung der Trockenmauern etwa werden sie mit der Stiftung Terra Nostra zusammenarbeiten.

Der Wiederaufbau der Mauern lohnt sich nicht nur, um das Gelände sicher zu machen und die Steine wieder an ihren Ort zu bringen. Die Mauern haben eine wichtige Funktion. Sie schaffen nämlich ein besonderes Klima. «Die Steine speichern tagsüber Wärme, die sie in der Nacht abgeben», so Nicolò Paganini. Ideal also, für die Oliven.

Sowieso hätten sie in Campascio ein sehr spezielles, fast mediterranes Klima. «Bei uns gibt es kaum Frost», sagt Tiziano Iseppi. Oliven, erzählt er, seien auf Frost sehr empfindlich, vor allem wenn er über Tage anhalte. Die Klimaerwärmung, sind sich Paganini und Iseppi einig, sei konkret spürbar. «Wir haben auch Olivenbäume im Garten, die Früchte reifen erst etwa seit einem Jahrzehnt», erzählt Paganini.

Wir wandern weiter durch den Wald, der im Kataster noch kein Wald ist, sehen alte Steinmauern, wo einst die Gemüsegärten gehegt wurden. Hier wollen Iseppi und Paganini noch Hand anlegen, Wald roden, Mauern aufbauen, Bäume pflanzen. 350 sollen dereinst an diesem Hang oberhalb Campascios stehen.

Es sind Träume. Aber wir sind ja schon daran, diese umzusetzen.

Tiziano Iseppi

Und wie geht man mit trockenem Klima um? Auch daran hat man hier gedacht. Paganini hat mit der Bewässerung für seine Beerenterrassen schon Erfahrung. Glücklicherweise gibt es einige Dörfer weiter oben im Tal, in Le Prese, einen See. Das Wasser, das von dort nach Campascio fliesst, gelangt dank dem Druck im Olivenhain wieder in die Höhe, nicht bis ganz oben, daran arbeiten die Oliven-Pioniere noch. 2022 hat Tiziano Iseppi etwas gewässert. Er hofft, dass das, wenn die Bäume älter sind, kaum mehr notwendig sein wird.

Ziel ist, dass möglichst nachhaltig gewirtschaftet wird. Und im Rahmen des Projektes «100% Valposchiavo», für das auch das ganze Tal Bio-Bewirtschaftung anstrebt, ist für Iseppi und Paganini klar, dass hier auf den Terrassen dereinst zertifizierte Bio-Oliven wachsen. Die sollen dann im Tal selber verarbeitet werden. Idealerweise sortenrein. Und auch den Trester würde Iseppi am liebsten verwerten. Doch weil er aktuell die Oliven noch nach Italien zum Pressen bringt, geht das alles noch nicht.

An Ideen mangelt es den beiden nicht, was sie im Tal alles machen könnten, hätten sie eine Olivenölpresse. Sie könnte genossenschaftlich organisiert sein, sodass ein ganz neuer Landwirtschaftszweig entstehen könnte, der natürlich auch für Touristen interessant wäre. Den beiden schwebt ein Wanderweg vor, der vom  Kreisviadukt der Rhätischen Bahn durch die Kastanienhaine, an Beeren von Paganini vorbei bis zu den Oliventerrassen führt. Und dann mit einer Olivenöl-Verkostung im Dorf abgerundet wird. «Das sind Träume», sagt Paganini. «Aber wir sind ja schon daran, diese umzusetzen», ergänzt Iseppi. 2022 sind die beiden dem Traum einiges nähergekommen, mit immerhin schon 50 Litern flüssigem Gold.

Das Olivenöl aus dem Puschlav ist noch nicht im Detailhandel erhältlich und kann ausschliesslich im Laden von Piccoli Frutti in Campascio erstanden werden (ab sofort, solange Vorrat).