Eine besondere Mühle
In der Molino Scartazzini greifen alle Rädchen ineinander
Gibt es eigentlich Mäuse-Gourmet-Menüs in der Mühle Promotogno?
«Mäuse? Die getrauen sich höchst selten in unsere Mühle», schmunzelt Gian Andrea Scartazzini. «Und wenn, dann können sie froh sein, wenn sie noch flüchten können…». Die angelieferten Kunststoffsäcke mit Weizen, Roggen, Mais, Gerste, Kastanien und anderen Getreiden wären ja für Maus & Co. auch unknackbar.
Gian Andrea Scartazzini führt die «Molino Panificio» in Promontogno mittlerweile in der neunten Generation. Die beiden Söhne Vittorio und Giulio sind mit dabei in der Unternehmung, die am Ufer des Flüsschen Maira liegt. Papà Gian Andrea Scartazzini betreibt mit seinem Sohn Vittorio die alte jedoch teilweise modernisierte Mühle. In ganz Graubünden gibt es ausser in Promontogno sonst nur noch eine Handelsmühle im Puschlav.
Verarbeitet werden in der Bergeller Mühle jährlich rund 270 Tonnen Getreide sowohl in Bio- als auch in konventioneller Qualität. Zu Mehl gemahlen wird Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel. Buchweizen und anderes wie etwa Kastanien. Die Rohstoffe stammen aus dem Bergell, dem Churer Rheintal und weiteren Bündner Regionen. Das Gran Alpin Getreide, das im Albulatal seinen Ursprung hat, nimmt einen besonderen Platz ein. Abgeholt wird das Getreide in so genannten «Big Bags» vorwiegend bei der Getreidesammelstelle in Landquart, aber auch im Münstertal.
Backwaren und Pasta-Produktion
Das zu Mehl gemahlene Korn geht dann vor allem an Gran Alpin, Abnehmer im Engadin, an die hauseigene Bäckerei Scartazzini sowie an einige Bäckereien im Tal und im Engadin, an Ladengeschäfte Hotels und auch an Private. Der eigenen Bäckerei mit Pastaproduktion ist ein Dorfladen angegliedert. Sohn Giulio betreibt die Bäckerei und produziert aus dem Mehl von der Mühle rund 15 Tonnen Pasta jährlich – darunter Penne, Fusilli, Pizzoccheri und auch feinste Kastanientagliatelle.
Ausgestattet ist die Mühle Scartazzini im Bergeller Dorf mit funktionstüchtigen Mahlmaschinen, Reinigungsanlagen, Elevatoren und Förderschnecken. Das alte Mühlrad wurde schon 1898 durch eine Turbine ersetzt. Nach der Inbetriebnahme der EWZ Bergeller Kraftwerke wurde 1960 die Wasserkraft nicht mehr genutzt. Seither wird die Mühle elektrisch angetrieben.
Vor wenigen Jahren ist bei der Mühle ein neues Wasserkraftwerk mit Unterstützung des KEV Förderprogrammes für erneuerbare Energien gebaut worden. Dieses ermöglicht eine Kostendeckende Einspeisevergütung. Gleichzeitig ist es eine zusätzliche wichtige Einnahmequelle für den Betrieb.
Ein Museum? Oder Tinguelys Atelier?
Wer die Mühle betritt, wähnt sich fast in einem Museum. Viel altes Holz, alte Getreidemühlen, Elevatoren allüberall und über alle fünf Stockwerke hinweg. Auf den zweiten Blick glaubt man, sich in Tinguelys Atelier zu befinden, denn in der «Molino» stehen wundersame Maschinen, bei denen alle Rädchen ineinander greifen und wo dann fast wie mit Zauberhand alles spielerisch angetrieben wird. Die alte Mühle ist das reinste Entdeckerparadies. Selbstredend legt sich der Getreide- und Mehlstaub ständig auf alles und jeden. Besen und Staubsauger sind darum häufig im Einsatz.
Das umfangreiche Müller-Handwerk verstehen die Scartazzinis bestens. Zwar haben Vater und Sohn einen Traditionsberuf gelernt, aber die Müllerei ist heute gerade auch in Promontogno mit modernen Anlagen und Maschinen (obwohl man das nicht auf Anhieb so erkennt) bestens ausgerüstet. Dies bedingt wiederum natürlich viel technisches und viel Lebensmittel-Know how.
Aufwändige Reinigungsprozesse
Bevor Vater und Sohn Vittorio überhaupt daran denken, das Getreide zu Mehl oder Rollgerste zu verarbeiten und dieses in Säcke abzufüllen, sind viele aufwändige Kontroll- und Reinigungsprozesse notwendig. «Denn oft», so sagt der Patron, «ist das angelieferte Getreide verunreinigt. Bei der Ernte finden Steinchen, Gras, Unkrautsamen, Metall, Stroh und anderes den Weg in den Getreidesack. Darum wird alles zuerst maschinell gereinigt. Dabei sind ständige Proben unabdingbar. Die Augen der beiden Müller sind darum entsprechend geschärft. Langweilig wird Gian Andrea und Vittorio, der seit über zehn Jahren in der Mühle tätig und für die Mühle nun verantwortlich zeichnet, die Arbeit nie. «Bei uns ist jeder Tag anders».
Man schaut Gian Andrea und Vittorio Scartazzini gerne über die Schultern. Auf dem Rundgang mit Gian Andrea verschwindet dieser plötzlich ins Nichts, taucht nach wenigen Minuten wieder aus dem Nichts auf. Er beobachtet unser Erstaunen und lacht. Über die fünfstöckige Mühle hinweg ist ein etwas seltsamer «Lift» eingebaut – ein viereckiges Holzbrett, daneben ein dickes Seil. Ein Ruck am Seil und schon entschwebt er – einmal hinunter, dann wieder hinauf. Und das in Sekundenschnelle. Mit dem «Lift» werden auch die Säcke befördert. Die engen steilen Steinstiegen sind dafür doch wenig geeignet.