Graubünden als Freiluftlabor
Bei «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» proben 52 Betriebe den Weg der kleinen, aber konkreten Schritte hin zu klimafreundlichen Netto-Null-Lebensmitteln.
Der Klimawandel ist längst Realität – auch in der Schweiz. Die Sommer werden trockener, die Winter bringen oft weniger Schnee. Dass dies Bäuerinnen und Bauern zum Nachdenken bringt, zeichnete sich auch ab in einer Umfrage, die der «Maschinenring Graubünden» vor sechs Jahren machte. «Die Bauern betrifft der Klimawandel von zwei Seiten», sagt Geschäftsführer Claudio Müller. «Einerseits werden sie zunehmend von Politik und Gesellschaft dafür mitverantwortlich gemacht, anderseits sind sie von den Folgen unmittelbar betroffen.»
Der Sektor Landwirtschaft ist gemäss dem Bundesamt für Umwelt für über 14 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich. Hier spielen Methan (CH4) und Lachgas (N2O) die grösste Rolle. Die CH4-Emissionen entstehen vor allem bei der Tierhaltung und der Lagerung von Mist und Dünger, die N2O-Emissionen stammen vorwiegend von Stickstoffdüngern auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen, bei der Nutzung von Maschinen und Fuhrparks werden CO2-Emissionen verursacht.
Wichtig war uns, dass Bäuerinnen und Bauern sich von Anfang an mit einbringen können.
Claudio Müller
Der Kanton Graubünden möchte dem aktiv etwas entgegensetzen. «Wir mussten uns fragen, wie wir das denn überhaupt machen», erzählt Müller, Initiant und Co-Projektleiter von «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden». «Wichtig war uns, dass Bäuerinnen und Bauern sich von Anfang an miteinbringen können. So entstand die Idee für das Freiluftlabor Graubünden.»
Die Anlage dafür ist schweizweit einmalig. 50 Familienbetriebe und die beiden kantonseigenen Betriebe Plantahof und Realta werden auf ihren Höfen ein Bündel an innovativen Massnahmen testen, um der Klimaneutralität näher zu kommen. Im gross angelegten Freiluftlabor soll in der Praxis geprüft werden, wie genügend gesunde Lebensmittel produziert werden können, die weniger Ressourcen verbrauchen, tiefere Treibhausgasemissionen verursachen und wie zudem atmosphärischer Kohlenstoff dauerhaft im Boden gespeichert werden kann.
«Was uns interessiert, sind Innovationen», so Müller. «Wir suchen nach Methoden, deren Wirksamkeit zwar wissenschaftlich bereits erforscht ist, die aber in der Praxis noch nicht erprobt sind.» Sprich: Eine weitere Solaranlage auf einem Stalldach wird nicht unterstützt, da diese Technik etabliert ist. Aber etwa die Aufbereitung von Hofdünger biete noch viel ungenutztes Potential, sagt Müller. Auch Herstellung und Einsatz von Pflanzenkohle, ein aktuell heiss diskutiertes Thema in der Landwirtschaft, werden im Freiluftlabor angegangen. Regenerative Landwirtschaft mit dem Ziel eines aktiven Humusaufbaus im Boden ist Inhalt mehrerer Massnahmen auf den Höfen.
Der Begriff Labor ist nicht zufällig gewählt. Denn: Sämtliche Massnahmen werden auch wissenschaftlich begleitet. So konnten namhafte Hochschulen zur Teilnahme bewegt werden, etwa die Agroscope, das FiBL oder die ZHAW. Aktuell werden die Umsetzungen der Massnahmen und entsprechender wissenschaftlicher Anordnungen erarbeitet. Bis 2025 sollen die Projekte in die Tat umgesetzt und gleichzeitig vor Ort dokumentiert werden.
Wenn sich zeigt, dass einzelne Massnahmen greifen, so sollen sie in den Folgejahren auch auf anderen Bündner Betrieben umgesetzt werden. Das Ziel: eine klimaneutrale Landwirtschaft im Kanton. Sicher ist: Man gewinnt im Bündnerland Erfahrungen, die eigentlich schier unbezahlbar sind.
Finanziell unterstützt wird die erste Etappe des Klimabauern-Projektes (Pilotphase: 2021 bis 2025) mit 6,4 Millionen Franken, bereitgestellt durch den Kanton Graubünden. Doch das Geld soll nicht im Zentrum stehen. Wichtig im Projekt sind die Erhöhung der Resilienz gegenüber den negativen Folgen des Klimawandels und der Beitrag der Landwirtschaft zum Ziel von Netto-Null. Dazu braucht es viel Wissen und neue Erfahrungen. «Die teilnehmenden Familien verpflichten sich daher im Rahmen des Projektes laufend weiterzubilden und Erfahrungen auszutauschen», sagt Claudio Müller. Und er spürt ein grosses Interesse in der Landwirtschaft, da auch weiterzukommen.
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